„Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“
(Tageslosung für den Ostersonntag 2020, Jes 60,1.2)
Liebe Brüder und Schwestern!
Das diesjährige Osterfest wird uns in guter Erinnerung bleiben. Geplante Familientreffen mussten abgesagt werden; vereinbarte Besuche bei Freunden und Bekannten ebenso. Die Osterferien verbringen wir alle zu Hause, auch die, die lieber verreist wären.
Es gäbe noch vieles zu nennen, das ganz anders ist als in der Zeit vor „Corona“. Da kommt so ein kleiner Virus, breitet sich auf der ganzen Erde aus und legt alles lahm, was Menschen in Gang gesetzt haben und am Laufen halten wollen. Der Schaden ist enorm; der wirtschaftliche Schaden ebenso wie der soziale.
Es gibt aber auch Lichtblicke in dem Dunkel, in das uns die Pandemie weltweit gestoßen hat. Wir sind uns bewusst geworden, dass wir einander brauchen. Wir haben viele Ideen entwickelt und umgesetzt, wie wir einander unterstützen können. Enkel erledigen die Einkäufe ihrer Großeltern, erstellen Podcasts, dank derer sie mit Oma und Opa in Sicht- und Hörkontakt bleiben. Familien rücken in diesen Zeiten des gebotenen Abstandhaltens wieder enger zusammen, verbringen mehr (hoffentlich friedliche) Zeit miteinander. In diesem Sinne konnte und kann zumindest der soziale Schaden abgefedert werden.
Außerdem lernten wir in den vergangenen Wochen die Arbeit von Berufsgruppen wertschätzen, die wir sonst immer nur am Rande wahrgenommen haben. Kassiererinnen und Kassier, die Männer und Frauen der unterschiedlichen Zulieferdienste, LKW-Fahrer, Friseure und andere mehr.
Und nicht zu vergessen: Klopapier! Wie wichtig dieser Allerwelts-Artikel gerade in Zeiten der Krise ist, wurde zumindest uns Deutschen bewusst.
Noch ein Lichtblick muss genannt werden. Die Natur atmet auf. Sie genießt eine Auszeit. Der viel thematisierte CO2-Ausstoß ist in diesen Monaten deutlich zurückgegangen. Was Umweltverbände nicht geschafft haben, schafft ein kleiner Virus binnen kürzester Zeit.
Die dunkle Zeit der Krise könnte auch ein nachhaltiges Licht in die Zukunft werfen. Ich sage „könnte“ und will damit zum Ausdruck bringen, dass ich das nicht glaube. Das Licht für unsere Zukunft und die unserer Enkel und Urenkel könnten wir dadurch 2 entfachen, dass wir die jetzige Krise als eine Aufforderung verstehen, unseren bisherigen Lebensstil gründlich zu überdenken. Mit „uns“ meine ich tendenziell alle Menschen, die in Ländern leben, deren Wirtschaft davon lebt, dass der Umsatz und die Gewinne stetig steigen. „Tendenziell“! Ich rede nicht unbedingt von Ihnen, die Sie jetzt meine Andacht lesen. Ich rede von Menschen, die so leben, als ob sie der Mittelpunkt der Schöpfung wären, um den sich alles kreist. In den Industrienationen zumindest sind das tendenziell alle. In ihrem Freiheitsdrang lassen sich die meisten Bürger unserer Wohlstandsstaaten kaum bzw. nicht einschränken; ebenso wenig wie in ihrem Konsumverhalten. Die nichtmenschliche Schöpfung wird von ihnen eingeteilt in „nützlich“ und „schädlich“. „Nützlich“ ist, was den Menschen nützt. Und „schädlich“ ist, was den Menschen schadet. Das Virus SARS-CoV-2 ist nach diesem Kriterium nicht nur schädlich. Er ist schrecklich! Blanker Horror! Dieses Virus bedroht und zerstört das Leben von Menschen; das nackte Leben ebenso wie die liebgewordenen Lebensgewohnheiten.
Aus der Perspektive eines Vogels jedoch oder der einer Raupe oder einer Küchenschelle oder sonst einer Kreatur ist SARS-CoV-2 nicht schädlich. Im Gegenteil! Es hilft ihnen. Es hilft ihnen insofern, als es die Menschen zwingt, inne zu halten, eine Pause zu machen, endlich einmal aufzuhören mit all dem, womit sie die übrige Schöpfung mit Füßen treten und zerstören.
So gesehen, bietet die gegenwärtige Krise auch eine Chance, die Chance, dass wir uns besinnen und nachdenken. Nutzen würden wir diese Chance, wenn wir erkennen würden, dass wir Menschen nur ein Teil der Schöpfung sind, wie die Blume auf dem Felde ein Teil der Schöpfung ist oder wie die Heuschrecke auf einer Wiese; eingebunden in ein Netz unzähliger Kreaturen, die nur zusammen überleben können. Wenn sich diese Einsicht unter den Menschen so verbreiten würde wie das Virus, dann hätte die Pandemie sogar einen Sinn gehabt! Aber, wie gesagt, so optimistisch bin ich nicht. Das glaube ich nicht.
Ich glaube aber an die Auferstehung der Toten, die wir heute in den Gottesdiensten feiern würden und die viele Christen zu Hause anhand der Heiligen Schrift dieser Tage betrachten.
Die Losung für heute (Ostersonntag) steht in Jes 60,2. Der Prophet kündigt in diesem Kapitel die zukünftige Erscheinung der Herrlichkeit Gottes an, wenn Gott auf dem Zion erscheinen wird und alle Völker in seinen Lichtkegel treten werden, um ihn anzubeten und zu loben. Wörtlich heißt es:
„Mache dich auf und werde Licht; denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“
(Jes 60,1.2)
Wir Christen glauben, dass Gott die Prophezeiung Jesajas in der Geburt Jesu erfüllt und mit seiner Auferweckung auf alle Menschen ausgeweitet hat. Jesus Christus ist für alle Menschen dieser Erde das von Jesaja angekündigte Licht, das in unserer „Finsternis“ und in unserem „Dunkel“ aufleuchtet. Auch und gerade in Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, leuchtet dieses Lebens- und Hoffnungslicht. Für alle Menschen leuchtet dieses Licht. Erhellen kann es aber nur die Seelen derer, die sich bewusst in seinen Lichtkegel stellen; nur die Seelen derer, die sich ihm gegenüber öffnen und seine Strahlen in sich einlassen, sich regelrecht durchleuchten und erleuchten lassen. Deshalb die Ermutigung Jesajas: „Mache dich auf und werde Licht;…“ (Jes 60,1a)
Viele Menschen stellen zur Zeit ein sogenanntes „Licht der Hoffnung“ in ihre Fenster. Ich weiß nicht, worauf sie im Einzelnen hoffen; was sie sich wünschen, was sie von Gott erwarten, wie er uns helfen soll. Die Meisten wünschen sich wohl, dass diese Pandemie möglichst bald wieder zu Ende ist und wir dort wieder weitermachen können, wo wir aufhören mussten. So wie es aussieht, erfüllt Gott uns diesen Wunsch nicht. Warum er das nicht tut, weiß ich nicht. Ich will nicht darüber spekulieren, ob Gott uns mit dem Virus bestrafen will, ob das Virus vielleicht seine Art ist, uns Menschen wach zu rütteln und uns zu veranlassen, unseren Lebensstil gründlich zu überdenken und dann auch zu verändern. Der Gedanke ist nicht abwegig. Dass Gott Menschen auch bestraft, wenn sie so leben, als ob es ihn nicht gäbe, als ob sie der Mittelpunkt allen Seins und Geschehens wären, um den sich alles kreist, ist biblisch gut bezeugt. Und ebenso gut bezeugt ist, dass Menschen, die sich der Liebe Gottes entgegenstrecken und sich ihr gegenüber öffnen, sie auch erfahren und erleben.
Ich bete dieser Tage sehr viel. Aber in keinem meiner Gebete bitte ich Gott, dass diese Pandemie möglichst schnell wieder vorbei geht. Ich sage ihm nicht, was ich mir wünsche. Aus zwei Gründen sage ich es ihm nicht. Erstens weiß er ja, was ich gerne hätte. Und außerdem weiß ich, dass Gottes Gott-Sein für uns nicht darin besteht, unsere Wünsche zu erfüllen.
Meine Gebete gestalte ich wie folgt: Ich trete bewusst in den Kegel seines Lichtes. Als Konkretion für dieses Licht nehme ich mir ein Wort aus der Heiligen Schrift. 4 Etwa das Wort aus Psalm 37,5:
„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn. Er wird’s wohlmachen.“
Dann mache ich mir die derzeitige „Finsternis“ bzw. „Dunkelheit“ bewusst, unter der wir alle leiden. Ich betrachte meine Ängste und Sorgen im Lichte dieses Verses aus Psalm 37.
Ich bekenne meine Sünde und Schuld; sowohl meine Sünde und Schuld dem Schöpfer gegenüber als auch die gegenüber meinen Mitgeschöpfen. Ich fühle dieser Schuld nach und versuche, sie mir leidtun zu lassen, sie zu bereuen.
Dann stelle ich mir vor, dass ich meine Ängste und Sorgen und meine Schuld nehme und sie in die Hände Gottes lege, sie ihm anvertraue. Nach dieser Gebetsphase bitte ich Gott, dass er mir vergeben möge. Meine Gebetszeit (etwa 20 Minuten) schließe ich mit einem Vaterunser.
In den Tagen, Wochen und Monaten, in denen ich so bete, achte ich nicht darauf, ob sich die äußeren Umstände so verändern, wie ich mir das wünsche. Vielmehr achte ich darauf, was mit mir und an mir geschieht. Vor allem achte ich darauf, wie sich meine innere Gefühlslage, meine Stimmung verändert. So viel steht fest: Alles, was mir durch mein Beten widerfährt, kommt von Gott. Ich spüre darin eine Konkretion seines Lebenslichtes und damit eine Konkretion der Auferstehung der Toten. Denn die Auferstehung der Toten geschieht ja nicht erst nach unserem Sterben. Sie beginnt, sobald jemand bewusst auf das Wort Gottes hört. Und sie entwickelt sich in dem Maße fort, in dem jemand sich darin übt, auf seine Worte zu hören und sich ihm gegenüber zu öffnen. Vor diesem Hintergrund sagt Jesus:
„Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“
(Joh 5,24.25)
Gott segne Ihr Beten! Amen.
Bleiben Sie gesund! Wenn nicht, bleiben Sie gottbehütet!
Frohe Ostern in schweren Zeiten wünscht Ihnen Ihr Pfarrer Roland Hussung!